Oft einziger Ort für soziale Kontakte
Der "Alte Bahnhof" in Wanzleben muss Angebote stark reduzieren
"Masken auf und Abstand halten", ermahnt Barbara Schürmann eine Gruppe, Menschen, die vor dem "Alten Bahnhof" in Wanzleben auf die Öffnung der Tafel warten. Die Leiterin der Einrichtung legt größten Wert auf die Einhaltung der Hygienemaßnahmen. "Wenn sich auch nur einer von uns infiziert, dann müssen wir schließen", sagt sie. Die Bedürftigen sind jedoch auf die Lebensmittel angewiesen.
Etwa 100 Bedarfsgemeinschaften würden die Tafel am "Alten Bahnhof" pro Woche aufsuchen. Nur die Essenausgabe und der Kleiderladen sind im Sozialen Zentrum "Alter Bahnhof" des DRK Kreisverbandes Wanzleben derzeit möglich. Ohne Corona aber ist das Angebot hier vielfältig. Dabei geht es nicht nur ums Sattwerden, sondern auch um Begegnungen, Austausch und Integration.
"Die Teilnehmer am Kreativ- und Klönklub vermissen die wöchentlichen Treffen", weiß Schürmann. Im September sei dieser mit entsprechendem Hygienekonzept endlich wieder angelaufen. "Und nun ist schon wieder Schluss", zeigt sich die Leiterin enttäuscht. Auch dass die Frauen und Männer das Interesse verlieren, befürchtet sie. Neben dem Kreativ- und Klönklub war ein Sportangebot mit Spiel und Spaß für Familien geplant, das wegen der Pandemie nie starten konnte.
Auch gesellige Nachmittage bei Kaffee und Kuchen wie das Cafe International gehörten vor der Pandemie zum gut besuchten Angebot der Einrichtung. Nasrin Hesso, die aus Syrien stammt, fehlen die Begegnungen mit anderen Menschen im "Alten Bahnhof": "Hier kann ich Deutsch sprechen und mich verbessern, außerdem lerne ich viel über die deutsche Küche", sagt die 34-Jährige. Es sei schade, dass das im Moment nicht möglich sei.
Barbara Schürmann bedauert besonders, dass die Suppenküche seit beginn der Coronakrise geschlossen bleiben musste: "Hier bekamen die Besucher für kleines Geld eine warme Mahlzeit zum Mittag inklusive Nachtisch." Sie höre oft, dass die regelmäßigen Besucher der Suppenküche das gemeinsame Essen sehr vermissen. "Da konnte man mal quatschen, anschließend ging es gemeinsam zur Essensausgabe an die Tafel, das war gesellig", beschreibt Schürmann. Im Moment ließen die Maßnahmen das aber nicht zu. Das Raumkonzept erlaube nur 12 Leute gleichzeitig in einem Zimmer. "Wir wissen ja vorher nie, wie viele es sein werden und wollen auch niemanden wegschicken."
Für zahlreiche Bedürftige seien der Klönklub, die Suppenküche oder das Cafe International die wenigen sozialen Anlässe in ihrem Alltag. "Das fehlt mir schon sehr, nicht nur wegen der Mahlzeiten, sondern auch weil man hier Leute trifft", sagt eine Wanzleberin, die ihren Namen nicht nennen möchte. Klar habe sie auch andere Bekannte in Wanzleben, "aber es war immer sehr nett in der Suppenküche". Außerdem spare man Geld und bekomme trotzdem eine vollwertige leckere Mahlzeit. Sie sorgt sich, dass demnächst auch die Tafel schließen könnte. Ohne die gespendeten Lebensmittel würde das Geld noch knapper.
"Diese Angst hatten wir im ersten Lockdown, sagt Schürmann, sie sei jedoch unberechtigt. "Wir haben die Ausgabe nach draußen verlagert", so die Leiterin weiter. Die Lebensmittel werden durch zwei Fenster gereicht, so dass dadurch automatisch genügend Abstand zwischen den Menschen besteht. Entsprechend der jetzigen Verordnungen bestünde nur dann die Gefahr einer Schließung, wenn einer der DRK Mitarbeiter positiv auf Corona getestet würde oder wenn die Bundesregierung doch noch einen totalen Lockdown verordnet, wie es ihn in Frankreich und Spanien gab. An ein solches Szenario glaubt Barbara Schürmann jedoch nicht: "Wir haben in der ersten Lockdown-Phase durchgehalten, als alles noch viel chaotischer war und niemand irgendwas über das Virus wusste." Jetzt sei man zumindest etwas schlauer, daher besser vorbereitet und könne erfahrener mit dieser Situation umgehen.
Volksstimme, 05.11.2020 (Josephine Schlüer)