Tafel braucht dringend Nachschub
Wie Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine geholfen wird und wie sich ihr Leben entwickeln kann
Mehr Tafelkunden und gleichzeitig weniger Lebensmittelspenden – wie den anderen drei Tafeln im Landkreis Börde geht es auch der Tafel des DRK-Kreisverbandes Wanzleben im Sozialen Zentrum „Alter Bahnhof“.
„Seit etwa vier Wochen haben wir mehr Bedürftige, die unsere Tafel nutzen“, erzählt Einrichtungsleiterin Barbara Schürmann. Darunter seien nicht nur Tafelkunden, die wegen der gestiegenen Lebensmittelpreise und Lebenshaltungskosten vermehrt auf die Tafeln angewiesen sind, auch Flüchtlinge aus der Ukraine seien auf Hilfe und Unterstützung angewiesen. „Die ukrainischen Familien – das sind meist Mütter und ihre Kinder – bekommen die Tafelpakete derzeit kostenfrei ausgehändigt. Die meisten haben ja noch gar kein Geld zur Verfügung, weil sie erst angemeldet werden müssen“, informiert Schürmann. Sonst betrage der symbolische Obolus drei Euro pro Tafelpaket.
Bei der erhöhten Anzahl von Kindern, die wegen der Flüchtlingssituation unterstützt werden müssten, sei vor allem die Nachfrage nach Obst und Gemüse gestiegen. „Davon wird von den Supermärkten weniger abgegeben, Nicht erst jetzt, das ist schon länger so“, sagt Schürmann. Vermutlich liege das an der besseren Planung und der Digitalisierung der Märkte, die so besser in der Lage seien, der Lebensmittelverschwendung vorzubeugen. Dennoch: „Die Märkte, die wir haben, versuchen immer, uns zu unterstützen“, ergänzt die Einrichtungsleiterin.
Erschwerend hinzu kämen die Hamsterkäufe. Diese führten nicht nur dazu, dass die Supermärkte weniger Nudeln, Mehl und Öl abgeben könnten, auch die ohnehin schon sozial Bedürftigen müssten so im Supermarkt auf die teureren Markenprodukte ausweichen, die sie sich meist nicht leisten könnten. Problematisch am gestiegenen Vorratskonsum sei vor allem, dass Grundnahrungsmittel, die nicht mehr verfügbar sind, auch nicht mehr von den Supermärkten gespendet werden könnten.
„Es gilt bei den Tafeln das Prinzip: Es kann nur das geteilt werden, was vorher eingesammelt worden ist. Das kann mal mehr und mal weniger sein“, sagt Schürmann. Da die Tafeln ausschließlich von Spenden leben, seien sie daher auf die Unterstützung anderer angewiesen.
„Geholfen werden kann von jedem Einzelnen durch die Abgabe von Konserven, Obst, Gemüse und Hygiene- und Kosmetikartikeln, auch Kleidung wird gebraucht“, erklärt Schürmann.
Inzwischen sind im Landkreis Börde 1068 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen. Darunter befinden sich 142 Kinder im Kindergarten- und 311 Kinder im schulpflichtigen Alter. Bisher nicht erfasst sind ukrainische Kriegsflüchtlingen die bei Freunden und Verwandten oder anderweitig privat untergekommen sind.
Schwierigkeiten bereitet immer noch die Prozedur der Registrierung, der Landkreis Börde wirkt dabei wie ein Nadelöhr. Kriegsflüchtlinge warten mehrere Wochen, bis sie einen Termin bekommen. Wie läuft das Prozedere ab?
Zunächst melden sich die Kriegsflüchtlinge an. Dafür füllen sie ein Formular aus, das auf der Internetseite des Landkreises zu finden ist. Auch wenn die Fragen auf dem Formular in deutsch, ukrainisch und russisch gestellt sind, sollen sie in der hier üblichen lateinischen Schrift beantwortet werden. Jedes Familienmitglied muss einen eigenen Fragebogen ausfüllen, dazu Kopien des Personalausweises, beziehungsweise der Geburtsurkunden mitschicken. Dann heißt es: Warten.
Es kann mehrere Wochen dauern, bis sich eine Mitarbeiterin des Landkreises meldet und einen Termin für die Registrierung nennt. Bei diesem Registrierungstermin werden Fingerabdrücke genommen, außerdem ein biometrisches Foto gemacht. Das sogenannte Pik-Gerät, mit dem die Fingerabdrücke genommen werden, ist im Landkreis nur einmal vorhanden. Inzwischen unterstützen die Polizeistationen in Wolmirstedt, Haldensleben und Oschersleben.
Diese Registrierung dient der erkennungsdienstlichen Erfassung und geht an das zentrale Bundesregister. Doch mit dieser Registrierung vergibt der Landkreis auch eine Anerkennung als ukrainischer Kriegsflüchtling. Die gilt als Übergangslösung, bis ein Pass vorliegt. Mit dieser Anerkennung können sich ukrainische Kriegsflüchtlinge bereits beim Einwohnermeldeamt anmelden, zum Arzt gehen, ein Konto eröffnen und nach der Anmeldung beim Einwohnermeldeamt die Kinder in Kita oder Schule anmelden. Außerdem bekommen sie Geld nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und bei Bedarf Mietgeld.
Um den Pass und damit einhergehende Aufenthaltstitel zu bekommen, müssen ukrainische Kriegsflüchtlinge noch einmal Formulare ausfüllen und ein biometrisches Foto anfertigen lassen und auf einen Termin beim Landratsamt warten. Dort erfolgt die ausländerrechtliche Erfassung. Der Pass kommt nach vier bis sechs Wochen und gilt zwei Jahre.
Viele Ukrainer waren zunächst davon ausgegangen, schnell wieder in die Heimat zurückzukehren. Angesichts des andauernden Krieges stellen sie sich inzwischen allerdings auf einen längeren Aufenthalt ein. Darauf hat auch die Kreisvolkshochschule reagiert und sich beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge um Integrationskurse bemüht.
Eine erste Informationsveranstaltung gab es am 1. April bereits in Wolmirstedt, 33 Ukrainer haben sich dort für einen Integrationskurs angemeldet.
Der startet voraussichtlich nach Ostern. Zuvor durchlaufen die Teilnehmer einen Einstufungstest, bei dem vor allem Sprachkenntnisse ermittelt werden. In Haldensleben, Oschersleben und Wanzleben soll dieses Prozedere zeitnah folgen. Dringend gesucht werden Honorarkräfte, die über eine Zulassung vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge verfügen.
Anmeldungen für Integrationskurse in Wolmirstedt und Haldensleben nimmt die Kreisvolkshochschule unter der Telefonnummer 03904/7240 7260, für Oschersleben unter 03904/7240 7280 entgegen.
Sind die Kinder in Kita oder Schule angemeldet, benötigen sie eine hausärztliche Untersuchung, vorrangig um den Masern-Impfstatus zu überprüfen.
Volksstimme, 07.04.2022 (Gudrun Billowie und Kristina Reiher)