Wenn Hilfe selbstverständlich wird
Die Region packt an, um ukrainischen Flüchtlingen schnell zu helfen
Sabine aus Alpen ist es nicht die erste Aktion dieser Art. Sie hat letztes Jahr erfolgreich Kuschelkissen genäht, gehäkelt und gestrickt für die Kinder im Hochwassergebiet in Deutschland.
Hilfe benötigt Iris Parlak nun noch bei der Herstellung, sie würde gern noch mehr Menschen in der Region von der Idee begeistern, die mit ihr zusammenarbeiten könnten. Außerdem würde sie gern Trostkissen bei entsprechenden Transporten in die Ukraine mitgeben. „So wüssten wir, dass sie auch verlässlich abgeliefert werden“, sagt sie.
Oscherslebens Landwirt Helge Beckurs zögerte ebenfalls nicht lange. Gemeinsam mit seinen Kollegen der „Interessengemeinschaft Sachsen-Anhalt“, einem losen Zusammenschluss von bundesweit organisierten Landwirten, holte er Flüchtlinge aus der Ukraine zu sich. Am Telefon klingt Beckurs bedrückt über die Ereignisse. Und motiviert. Er wolle helfen, schnell und unkompliziert.
Der Hordorfer Helge Beckurs pflegt eine ganz besondere Beziehung in die Ukraine. „Seit 2010 bin ich regelmäßig in der Ukraine, mache dort Bodenanalysen und halte Vorträge“, sagt er. Noch am vergangenen Freitag wollte er, wie so oft in die Ukraine fliegen. Da waren Putins Truppen schon einmarschiert.
Beckurs blieb in Deutschland. Anders als einer seiner Kollegen, der seit 30 Jahren in dem Land zwischen Russland und Polen lebt. „Dann kamen die Granateinschläge“, sagt Beckurs. Sein Mitarbeiter sitzt nun in der Hauptstadt Kiew fest. „Er will kämpfen“, sagt Helge Beckurs düster.
Der Hordorfer Landwirt nahm als erste Anlaufstelle einige Ukrainer bei sich auf. Immerhin, so sagt er, habe er und viele Mitglieder der „Interessengemeinschaft Sachsen-Anhalt“ einige Wohnungen, die möbliert sind und frei zur Verfügung stehen. „In der Saison gastieren hier Erntehelfer und die Wohnungen stehen großteils gerade leer.“ Die Interessengemeinschaft vernetzt sich per WhatsApp, organisiert Demos in Magdeburg und Halle, schauen dem Bauernverband intensiv auf die Finger – und wollen nun Dutzenden Flüchtlingen ein Dach über dem Kopf anbieten. Eine weitere Aufgabe: Hilfsgüter an die polnisch-ukrainische Grenze bringen, wie Decken, Nahrung, Hygieneartikel. In diesen Tagen wollen die Landwirte einen Bus organisieren, um die Gestrandeten nach Deutschland zu holen. Das kostet alles Geld, Spenden sind nötig. Um die Kosten decken zu können, arbeitet die Interessengemeinschaft mit dem Verein „Kinderhorizont" zusammen, der wiederum Spenden sammelt (www.kinderhorizont.de/fluechtlingshilfe-ukraine.html).
Die ersten von Helge Beckurs aufgenommen ukrainischen Geflüchteten sind derweil bereits weitergezogen, in eine Aufnahmestation in Quedlinburg. Er erwarte die nächsten in den kommenden Wochen, vielleicht schon in den nächsten Tagen. Platz bei ihm und seinen Kollegen gebe es für etwa 50 Personen. Ein kleines Licht am Horizont für einige wenige.
Auch Wanzlebens Nachbar Oschersleben fährt hoch. Es sollen schnell und einfach Wohnungen für ukrainische Flüchtlinge bereitgestellt werden, sagt Oscherslebens Bürgermeister Benjamin Kanngießer. Dafür arbeitet die Gemeinde mit der Wohnungsbaugesellschaft und den Wohngenossenschaften zusammen.
Das generelle Problem: Viele Wohnungen sind unmöbliert. „Wir haben uns an den Landkreis gewandt, um diese Wohnungen schnell mit Tischen, Schränken und Betten einzurichten", sagt Kanngießer. Er klingt zuversichtlich, betont, wie beeindruckend er findet, was die Bürgerinnen und Bürger, Vereine und Gemeinschaften in der Stadt leisten. Der Bürgermeister spricht von den vielen Initiativen, die von Geschäften und Oschersleber auf die Beine gestellt werden, um den Geflüchteten zu helfen.
Die Stadt wiederum ruft auf der Internetseite der Stadt Oschersleben die Bürger um Wohnungsangebote an. Wer kurzfristig Wohnraum für Flüchtlinge anbieten kann, darf ein Mietangebot samt Informationen zur Unterkunft bei der Stadt einreichen. „Wir erheben die Daten und schicken sie an den Landkreis weiter, der wiederum entscheidet", so Kanngießer.
Eine durchaus unorthodoxe Methode, die ihr Ziel jedoch nicht verfehlen dürfte.
Volksstimme, 04.03.2022 (Christian Besecke und Nico Esche)